Buchbesprechung – „Gott 2.0 – Grundfragen einer KI der Religion“ von Ahmad Milad Karimi

Ahmad Milad Karimi beleuchtet in Gott 2.0 die Herausforderungen von Künstlicher Intelligenz (KI) aus theologischer Sicht. Dabei reflektiert er kritisch Transhumanismus und Posthumanismus und betont die menschliche Imperfektibilität als das Wesen des Menschseins.

KI und Religion: Karimis spannender Ansatz im Diskurs der Gegenwart

Ahmad Milad Karimis Buch Gott 2.0 – Grundfragen einer KI der Religion greift ein hochaktuelles und spannendes Thema auf: die Wechselwirkung zwischen Künstlicher Intelligenz (KI) und Religion. Karimi führt dabei die Leser:innen durch eine vielschichtige Auseinandersetzung mit Transhumanismus, Posthumanismus und dem Mensch-Maschine-Verhältnis. Dabei bietet er eine theologische Perspektive, die besonders die menschliche Unvollkommenheit und das Verhältnis von Technik und Spiritualität beleuchtet.

Während Karimis Ansatz oft treffend und inspirierend ist, zeigt sich dennoch eine eingeschränkte Perspektive auf das Potenzial von KI, was dem Autor aber selbst bewusst ist, da er zwischen “schwacher” und “starker” KI unterscheidet und sich in diesem Buch auf ersteres, also der methodischen und unterstützenden KI konzentriert.

Die berührbare Dimension der Spiritualität

Bereits im Prolog hebt Karimi hervor, wie die Digitalisierung unser Erleben von Texten verändert. Er verweist auf die besondere, berührbare Dimension des Koranlesens, die durch digitale Formate verloren gehen könnte: Die Digitalisierung nimmt uns die berührbare Dimension, die gerade beim Koranlesen einen tiefen und spirituellen Akt ausmacht. (S. 8). Ein starker Einstieg, der zeigt, wie tiefgreifende technische Veränderungen in spirituelle Praktiken eingreifen können und wie sie bereits teilweise schon etabliert sind.

Beim Lesen dieses Einstiegs musste ich daran denken, dass seit dem ungeplanten Verlust meines geliebten Familienkorans ich nur noch auf digitale Ausgaben des arabischen Originals zurückgegriffen habe. Und ja, es ist nicht dasselbe, auch wenn der Koran laut rezitiert wird. Ein Buch zu fühlen, die Seiten voller Ehrfurcht und Respekt umzublättern, ist eine andere Erfahrung, als ein digitales Werk uns je vermitteln kann. Vielleicht wird es Zeit für einen neuen Koran in meiner Bibliothek.

Zwischen Mensch und Maschine – die Grenzen von KI

Karimi stellt die Frage: Inwieweit verändert das Mensch-Maschine-Verhältnis den Gottesbezug des Menschen? (S. 16). Dabei definiert er KI als ein datenbasiertes System, das menschliches Denken lediglich simuliert: Demnach ist die KI nicht denkfähig, sondern simuliert Denken und verfährt vereinfachend – KI ist alles, aber nicht intelligent. (S. 16). Dies reduziert die KI zu einer „schwachen“ Form, die menschliches Denken lediglich nachahmt.

Dieser Ansatz mag der aktuellen Realität vieler Systeme, die als KI bezeichnet werden, gerecht werden, blendet jedoch mögliche zukünftige Entwicklungen aus. Eine tiefere Auseinandersetzung mit möglichen neuronalen Netzwerken und einer denkenden KI hätte das Buch bereichern können, weil dann auch weitere Denkspiele möglich gewesen wären.

Vielleicht als Anekdote: Der Film Matrix greift genau diese Thematik auf und stellt die Frage, ob unsere aktuelle Existenz einer KI geschuldet ist, die uns eine Realität vorspielt. Solche Fragen beschäftigen die Philosophie schon länger, als die Popkultur uns weiß macht.

Populärkultur als Zugang zu tiefen Fragen

Karimi gelingt es wieder einmal sehr gekonnt, komplexe Themen durch Bezüge zur Populärkultur zu verdeutlichen. Von den Simpsons über Black Mirror hin zu Stranger Things schafft er es, gesellschaftliche Fragen in einen verständlichen Kontext zu bringen. Diese Beispiele eröffnen einen breiten Zugang und machen die Lektüre lebendig und zugänglich. Ich kenne aktuell aus islamisch-theologischer Sicht nur zwei Professoren, die das so gut hinbekommen. Ein großes Lob, weil es den Zugang zu Themen auch außerhalb der theologischen Bubbles deutlich erleichtert und auch auf bestimmte Serien einen anderen, tiefgründigen Blick werfen lässt.

Imperfektion des Menschen

Ein zentraler Gedanke Karimis ist, dass die Unvollkommenheit essenziell für das Menschsein ist. Diese “Imperfektibilität” hebt er hervor und zeigt, dass Versuche, den Menschen durch technologische Optimierung zu überwinden, letztlich scheitern müssen. Im vierten Kapitel kritisiert er den Transhumanismus und dessen Bestrebungen, den Menschen zu einem omnipotenten Wesen zu machen: Am Ende bestätigt Karimi, dass “der Mensch ein Mensch ist, weil er fehlbar ist und nicht allmächtig. (S. 61).

Posthumanismus und die Grenzen menschlicher Natur

Karimi geht auf den Posthumanismus ein, der das Ziel verfolgt, die Menschheit und das Menschsein selbst zu überwinden. Er stellt fest, dass Begrenzungen wie die Endlichkeit des Körpers und der Intelligenz grundlegende Aspekte menschlicher Natur sind: Der Unterschied zu religiösen Vorstellungen scheint darin zu bestehen, dass in religiöser Hinsicht Trauer, Verfehlung, Schuld, Verlust, Sterben etc. nicht als rein negativ zu verstehen sind; sie sind vielmehr existenzielle Erfahrungen. (S. 67).

Fehlende Dimensionen und Kritik

Was in Karimis Werk gelegentlich fehlt, ist eine tiefere Reflexion über eine denkende, gottähnliche Maschine, wie sie etwa in der Serie Person of Interest dargestellt wird. Ebenso bleibt die Diskussion um die menschliche Seele unvollständig. Eine KI mag auf vielen Ebenen agieren, aber die Frage nach einer Seele bleibt bestehen – ein Thema, das auch aus philosophischer Sicht noch lange nicht abgeschlossen ist. Und die Frage beschäftigte auch schon Menschen, wie Asimov, die gezielt nach dem “Geist” in der Maschine gefragt haben.

Fazit

Karimi bietet mit Gott 2.0 eine kluge und tiefgehende Auseinandersetzung mit den Herausforderungen und Chancen, die KI für die Theologie und das Menschsein mit sich bringt. Trotz einer eingeschränkten Sichtweise auf das Potenzial von KI liefert das Buch wertvolle Impulse, um über die Zukunft von Technologie, Menschheit und Religion nachzudenken.

Man sollte sich von dieser Zusammenfassung und der Besprechung nicht vereinnahmen lassen. Die Impulse, die von Karimi im Buch gegeben werden, sind ein Gewinn für jeden Menschen, da er sich vermutlich mit der eigenen Vergänglichkeit, Unzulänglichkeit und dem “Genug sein“ auseinandersetzen kann.

Dafür muss man Karimi wieder einmal danken, denn so kurz und prägnant auch das Buch wirken mag, die Auseinandersetzung ist ein Prozess, der längst nicht abgeschlossen ist. Und der Input regt einfach zum eigenständigen Nachdenken an.

Autor: Ahmad Milad Karimi
Titel: Gott 2.0 – Grundfragen einer KI der Religion
Verlag: Reclam
ISBN: 978-3150145913
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"Gott 2.0 – Grundfragen einer KI der Religion" von Ahmad Milad Karimi

Akif Şahin

Akif Şahin aus Hamburg. Arbeite als SEO-Manager für eine der größten Bildungs-Gruppen in Europa. Als Muslim interessiert mich die Geschichte und Kultur des vorderen Orients. Auf diesem Blog gibt es Einsichten, Aussichten und Islamisches.

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