Ramadan ist die Zeit der Einkehr und der Reflexion. In vielerlei Hinsicht ist dieser Monat für mich auch eine Möglichkeit, etwas mehr an meiner eigenen spirituellen Welt und Spiritualität zu arbeiten. Ich ziehe mich gerne zurück, schalte ab und entschleunige. Dazu gehört auch, dass ich bestimmte Werke in diesem Monat lese, die mich innerlich wie auch äußerlich verbessern sollen. Eines dieser Werke, die ich öfter lese und auch dieses Jahr bereits vor dem Ramadan angefangen habe zu lesen, ist Bidayatul Hidaya von Imam Ghazali (rh).
Inhalt
Bidayatul Hidaya
Bidayatul Hidaya – Der Anfang der Rechtleitung ist eines der bekanntesten Werke von Imam Ghazali(rh). Bis heute gilt Ghazali (rh) als einer der einflussreichsten Gelehrten des Islam. Das Buch ist eine Einführung in die islamische Ethik und Spiritualität und dient als praktischer Leitfaden für (junge) Muslime, die ihre Beziehung zu Allah (ﷻ) vertiefen möchten. Es richtet sich an Anfänger auf dem spirituellen Weg (tasawwuf) und dient als Grundlage für sein späteres Hauptwerk Ihya Ulum ad-Din („Die Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften“).
Ghazali (rh) betont in diesem Werk, dass äußere religiöse Pflichten ohne innere Aufrichtigkeit wertlos sind. Im Buch selbst gibt es auch einen kurzen Abschnitt über die Etikette des Fastens. Im deutschsprachigen Raum ist dieser Abschnitt bis heute kaum vollständig übersetzt oder verbreitet, aber ich dachte, ich teile mit euch meine Erkenntnisse und mein Verständnis aus diesem Kapitel. Falls es etwas zu holprig klingt, seht es mir nach, ich habe die türkische Übersetzung gelesen.
Etikette des Fastens (frei nach Ghazali (rh))
Fasten, sollte nicht nur auf den Monat Ramadan beschränkt sein. Wer auch außerhalb des Ramadan an verschiedenen Tagen fastet, investiert in seine Spiritualität und kann im Jenseits die höchsten Ränge des Paradieses (jannatul firdaus) erreichen. Wer also nicht auch außerhalb des Ramadan fastet, verpasst eine Gelegenheit. Im Jenseits wird man andere Fastende sehen, die wie Sterne in leuchtenden Höhen sein werden – und man wird sich wünschen, dass man ebenfalls dorthin gelangt wäre.
Fasten ist an folgenden Tagen besonders empfohlen:
- Für Nicht-Pilger:
- Der Tag von Arafah (ein Tag vor dem Opferfest)
- Der Tag von Ashura (10. Muharram)
- Der erste Tag der Monate Muharram, Rajab, Sha‘ban und Zilhijja
- Die ersten zehn Tage des Monats Zilhijja (besonders segensreich)
- Der Monat Rajab gilt als besonders wertvoll
- Sunnah-Fasten:
- Am Anfang, in der Mitte und am Ende eines Monats
- An den Tagen 13, 14 und 15 eines Mondmonats (genannt „Weiße Tage“)
- Montag, Donnerstag und Freitag sind ebenfalls bevorzugte Fastentage
Fasten als spirituelle Praxis und Reinigung
- Das Fasten an Montagen, Donnerstagen und Freitagen sühnt die Fehler einer Woche.
- Das Fasten am Monatsanfang, in der Mitte und am Ende tilgt die Fehler eines Monats.
- Das Fasten an den gesegneten Tagen eines Jahres ist eine Möglichkeit, vergangene Sünden zu bereuen.
Doch das Fasten bedeutet nicht nur, auf Essen, Trinken und eheliche Beziehungen zu verzichten.
Der Prophet Muhammad (ﷺ) warnte:
„Manche Menschen fasten, doch am Ende bleibt ihnen nichts außer Hunger und Durst.“
Imam Ahmad, Musnad, Band 2, S. 273
Vollständiges Fasten
Vollständiges Fasten erfordert mehr als nur den Verzicht auf Nahrung. Alle Sinne und Organe sollten sich von schlechten Handlungen fernhalten:
- Die Augen sollten nichts Verbotenes betrachten.
- Die Zunge sollte sich von übler Nachrede und leeren Worten zurückhalten.
- Die Ohren sollten nicht auf Lügen oder Verleumdungen hören.
- Wer Klatsch und Tratsch anhört, beteiligt sich an der Sünde.
Dinge, die das Fasten spirituell zerstören
Es gibt fünf Dinge, die das Fasten in geistiger Hinsicht ungültig machen:
- Lügen
- Üble Nachrede (Gheeba)
- Verleumdung (Namimah)
- Falsche Schwüre
- Mit Begierde auf Verbotenes schauen
Der Prophet Muhammad (ﷺ) sagte:
Das Fasten ist ein Schutzschild. Wer fastet, soll sich von schlechten Worten und Streit fernhalten. Falls jemand ihn beleidigt oder provoziert, soll er einfach sagen: ‚Ich faste.‘
Bukhari, Sawm, 2; Muslim, Siyam, 163
Die richtige Art, das Fasten zu beenden (Iftar)
Es ist wichtig, das Fasten mit erlaubten (halal) Lebensmitteln zu beenden und nicht zu viel zu essen.
- Wer beim Iftar übermäßig viel isst, verliert den spirituellen Nutzen des Fastens.
- Das Fasten ist nicht nur eine körperliche Übung, sondern eine Möglichkeit, seine Begierden zu zügeln und seinen Geist zu reinigen.
- Wenn man sich tagsüber in Verzicht geübt hat, aber am Abend alles überkompensiert, verliert das Fasten seinen eigentlichen Zweck.
- Übermäßiges Essen belastet den Magen und verhindert, dass man die positiven Effekte des Fastens spürt.
Verstärke dein Fasten und verstehe, was Fasten wirklich bedeutet
Allah (ﷻ) sagt in einem Hadith Qudsi:
Jede gute Tat wird zwischen zehn- und siebenhundertfach belohnt. Doch das Fasten gehört Mir allein, und Ich werde es persönlich belohnen.
Tirmidhi, Sawm, 55; Ibn Madschah, Siyam, 1
Der Prophet Muhammad (ﷺ) sagte zudem:
Der Atem eines Fastenden ist bei Allah wohlriechender als Moschus.
Allah (ﷻ) sagt weiter:
Mein Diener verzichtet um Meinetwillen auf seine Begierden, sein Essen und Trinken. Das Fasten gehört Mir, und Ich allein werde es belohnen.
Und der Prophet (ﷺ) berichtete:
Im Paradies gibt es ein Tor namens ‚Rayyan‘, durch das am Tag des Gerichts nur diejenigen eintreten werden, die regelmäßig gefastet haben.
Bukhari, fedailus-sahabe, 5; Muslim, Zakat, 85; Tirmidhi, Menaqib, 16; Nesai, Zakat, 1; Malik, Dschihad, 49
Fazit
Das Fasten im Ramadan ist nicht nur ein körperlicher Verzicht, sondern eine spirituelle Übung, die Herz und Verstand reinigen soll. Wie Imam Ghazali (rh) betont, entfaltet das Fasten seine wahre Wirkung erst, wenn es mit innerer Aufrichtigkeit und Selbstdisziplin einhergeht. Es ist eine Gelegenheit zur Reflexion, zur Kontrolle der Sinne und zur Vertiefung der Verbindung zu Allah (ﷻ).
Neben dem Ramadan sind auch freiwillige Fastentage wertvoll, um spirituelle Belohnungen zu erlangen. Entscheidend ist, das Fasten bewusst zu erleben – nicht nur durch Enthaltsamkeit beim Essen, sondern auch durch einen achtsamen Umgang mit Worten, Gedanken und Taten. Wer dies verinnerlicht, erfährt das Fasten als einen Schutzschild, der ihn Allah (ﷻ) näherbringt und seine Charakterbildung nachhaltig stärkt.
Über die Etikette des Fastens