Was ist Sudschūd at-Tilāwa?
Der Sudschūd at-Tilāwa (türkisch: Tilavet secdesi) ist eine besondere Niederwerfung, die du vornimmst, wenn du im Koran auf einen Vers triffst, der eine Niederwerfung erfordert – eine sogenannte Sadschda-Âya. Solche Verse gibt es an 15 Stellen im Koran. Sie rufen den Menschen direkt oder indirekt zur Demut gegenüber Allah (subḥānahu wa taʿālā) auf. Ihre Bedeutung erfordert eine sofortige Reaktion in Form einer Niederwerfung.
In den meisten gedruckten Ausgaben des arabischen Korans sind diese Verse durch das Zeichen ۩ gekennzeichnet. Teilweise werden solche Verse auch unterstrichen. Muslime sollen sich bei diesen Versen einmal niederwerfen, um der Sunna des Propheten Muhammad (ﷺ) zu folgen.
Wo im Koran ist der Sudschūd at-Tilāwa erforderlich?
Hier findest du die 15 Stellen im Koran, an denen der Sudschūd at-Tilāwa praktiziert wird:
- Sura al-A’rāf (7), Vers 206
- Sura ar-Ra’d (13), Vers 15
- Sura an-Nahl (16), Vers 49
- Sura al-Isrā (17), Vers 107
- Sura Maryam (19), Vers 58
- Sura al-Hadsch (22), Vers 18
- Sura al-Hadsch (22), Vers 77
- Sura al-Furqān (25), Vers 60
- Sura an-Naml (27), Vers 25
- Sura as-Sadschda (32), Vers 15
- Sura Sād (38), Vers 24
- Sura Fussilat (41), Vers 38
- Sura an-Nadschm (53), Vers 62
- Sura al-Inschiqāq (84), Vers 21
- Sura al-ʿAlaq (96), Vers 19
In manchen Überlieferungen werden zusätzlich auch Sura al-Ḥidschr (15), Vers 98 oder Sura al-Furqān (25), Vers 64 als Sadschda-Verse aufgeführt, jedoch hat sich diese Meinung nicht durchgesetzt.
Unterschiedliche Auffassungen nach Rechtsschulen
Nach den hanafitischen, schafiitischen, hanbalitischen Rechtsschulen sowie Ibn Ḥazm (ra) und den Zaiditen beträgt die Anzahl der Sadschda-Verse vierzehn. Nach einer Überlieferung bei den Mālikiten und bei den Dschaʿfariten sind es fünfzehn. Nach der Meinung der Mālikiten hingegen sind es elf.
Während Hanafiten, Thaurī und Ibn Ḥazm alle Verse außer Sura al-Hadsch (22), Vers 77 anerkennen, sehen Schafiiten und Hanbaliten den Vers in Sura Sād (38), Vers 24 nicht als Tilāwa-Sudschūd an, sondern als Schukr-Sudschūd (Dankniederwerfung).
Diejenigen Mālikiten, die nur elf Verse akzeptieren, stimmen im Wesentlichen mit der hanafitischen Liste überein, betrachten jedoch die letzten drei Verse dieser Liste nicht als Sadschda-Verse.
Fazit: Hinsichtlich der Verse in Sura al-Hadsch (22), Vers 77, Sura Sād (38), Vers 24, Sura an-Nadschm (53), Vers 62, Sura al-Inschiqāq (84), Vers 21 und Sura al-ʿAlaq (96), Vers 19 gibt es unterschiedliche Meinungen aufgrund inhaltlicher Auslegungen und variierender Überlieferungen. Einigkeit besteht jedoch bei zehn der insgesamt genannten Verse.
Wann musst du den Sudschūd at-Tilāwa machen?
Die Rechtsgelehrten der verschiedenen islamischen Rechtsschulen haben unterschiedliche Auffassungen über die rechtliche Einordnung des Sudschūd at-Tilāwa:
- Nach den Hanafiten und Ibn Taymiyya ist die Niederwerfung für denjenigen, der einen Sadschda-Vers liest oder hört, wāǧib (verbindlich).
- In den übrigen drei sunnitischen Rechtsschulen (Schafiiten, Hanbaliten und Malikiten) sowie bei Ibn Ḥazm und den Zaiditen gilt sie als Sunna (empfohlen).
- Nach schiitischer Auffassung (Ǧaʿfarīya) sind die Niederwerfungen in den Suren as-Sadschda, Fussilat, an-Nadschm und al-ʿAlaq farḍ (verpflichtend), die restlichen gelten als Sunna (Tūsī, I, 114).
Die Hanafiten stützen ihre Meinung unter anderem auf Hadithe und auf den Koranvers:
„Was ist mit ihnen, dass sie nicht glauben und, wenn ihnen der Koran vorgelesen wird, sich nicht niederwerfen?“
(Sure al-Inschiqāq, 84:20–21)
Sie sehen darin einen Hinweis auf die Verpflichtung und eine Tadelung desjenigen, der sich nicht niederwirft. Die anderen Rechtsschulen argumentieren mit Überlieferungen, dass der Prophet (ﷺ) sich bei den Sadschda-Versen manchmal niedergeworfen hat und manchmal nicht (Buchārī, „Sudschud al-Qurʾān“, 6; Muslim, „Masādschid“, 106). Auch Aussagen von Gefährten wie ʿUmar ibn al-Khaṭṭāb und ʿAbdullāh ibn ʿUmar (raḍiyallāhu ʿanhum) werden als Belege herangezogen (Buchārī, „Sudschud al-Qurʾān“, 10).
Der Sudschūd at-Tilāwa ist verpflichtend (wâdschib), wenn du:
- selbst einen Sadschda-Vers liest,
- jemandem zuhörst, der ihn rezitiert,
- oder einen Sadschda-Vers über ein Medium wie Audio oder Video hörst.
Das gilt unabhängig davon, ob du dich im Gebet befindest oder nicht.
Falls du dich in einer Situation befindest, in der du die Niederwerfung nicht sofort ausführen kannst – etwa unterwegs bist oder dich an einem ungeeigneten Ort befindest – ist es empfohlen, Folgendes zu sagen:
„Semi‘nâ wa ata‘nâ ğufrânaka Rabbanâ wa ilayka-l-masîr.“
سَمِعْنَا وَأَطَعْنَا ۖ غُفْرَانَكَ رَبَّنَا وَإِلَيْكَ الْمَصِيرُ
(Wir hören und gehorchen. Vergib uns, unser Herr. Zu dir ist die Heimkehr.)
Die Niederwerfung kannst du dann später in geeigneter Umgebung nachholen.
Wie verrichtest du den Sudschūd at-Tilāwa korrekt?
Auch wenn es kein vollständiges Gebet ist, gelten für den Sudschūd at-Tilāwa ähnliche Bedingungen wie für das rituelle Gebet:
- Du benötigst rituelle Reinheit (Wudu).
- Du richtest dich zur Qibla aus.
- Deine Schamteile (‚Awra) müssen bedeckt sein.
- Du fasst eine klare Absicht (Niyya).
Wenn der Sadschda-Vers außerhalb des Gebets gelesen wird, besteht der Sudschūd at-Tilāwa nach den Hanafiten, Mālikiten, Ibn Taymiyya sowie einer Meinung der Hanbaliten aus nur einem einzigen Rukn (Pflichtbestandteil), nämlich der Niederwerfung selbst:
- Du sagst, ohne die Hände zu erheben: „Allahu akbar“.
- Du gehst einmal in die Niederwerfung (Sudschūd).
- In der Niederwerfung sprichst du dreimal „Subḥāna Rabbiyal-Aʿlā“.
- Du kannst zusätzlich Lobpreisungen, Bittgebete oder andere Duʿāʾ sprechen (vgl. Muslim, „Ṣalāt al-musāfirīn“, 201; Abū Dāwūd, „Sudsched al-Qurʾān“, 7; siehe auch Sura al-Isrāʾ 17:108).
- Du stehst mit „Allahu akbar“ wieder auf.
Beim Aufstehen ist es empfohlen (mustahabb), folgenden Vers zu rezitieren:
„Semiʿnā wa aṭaʿnā ɣufrānaka Rabbanā wa ilayka al-maṣīr“
(Sure al-Baqara, 2:285)
(Wir hören und gehorchen. Vergib uns, unser Herr. Zu dir ist die Heimkehr.)
Ein Sitzen wie im regulären Gebet oder ein abschließender Friedensgruß (Salām) ist nicht erforderlich. Das erste Takbîr („Allahu akbar“) ist Sunna, also empfohlen, aber nicht zwingend notwendig.
Abweichende Praxis in anderen Rechtsschulen
- Nach den Schafiiten gehören neben der Niederwerfung auch die Absicht (Niyya), der Eröffnungstakbīr (Iftitāḥ) und der Salām zu den verbindlichen Bestandteilen des Sudschūd at-Tilāwa. Nach dieser Absicht wird der Eröffnungstakbīr mit erhobenen Händen gesprochen, dann erfolgt ein zweiter Takbīr (ohne Handerhebung) vor der Niederwerfung. Nach der Sudschūd wird ohne Duʿāʾ kurz gesessen und mit dem Salām abgeschlossen.
- Nach Abū Bakr Ibn al-ʿArabī, einem Gelehrten der Mālikiten, gehören Takbīr und Salām zu den verpflichtenden Rukn des Sudschūd at-Tilāwa (Aḥkām al-Qurʾān, II, 831).
- Bei den Hanbaliten zählen das Niederwerfen, das Aufrichten und der erste Salām zu den Rukn. Es wird ein einziger Takbīr gesprochen und dabei die Hände erhoben.
Übrigens: Wenn derselbe Sadschda-Vers mehrmals in einem Sitzungszusammenhang (madschlis) rezitiert wird, ist nach den Hanafiten nur eine Niederwerfung für die gesamte Rezitation und Wiederholung notwendig. Auch in den anderen Rechtsschulen gibt es Meinungen, wonach eine Niederwerfung genügt – jedoch nur, wenn sie am Ende der Wiederholungen erfolgt. Werden hingegen verschiedene Sadschda-Verse in derselben Sitzung gelesen, ist für jeden Vers eine eigene Niederwerfung erforderlich.
Wie funktioniert der Sudschūd at-Tilāwa im Gebet?
Wenn du während des Gebets einen Sadschda-Vers liest, gelten je nach Umfang der weiteren Rezitation unterschiedliche Regeln:
- Liest du nach dem Sadschda-Vers höchstens drei weitere Verse, gehst du mit der Absicht zum Sudschūd at-Tilāwa direkt in den Rukû‘ (Verbeugung). Diese ersetzt die Niederwerfung.
- Liest du mehr als drei Verse weiter, gehst du direkt in die Niederwerfung, kommst wieder hoch und setzt die Rezitation fort.
Warum ist der Sudschūd at-Tilāwa so bedeutungsvoll?
Die Verse, die eine Niederwerfung verlangen, sprechen zentrale Themen an, wie:
- die Größe und Majestät Allahs (subḥānahu wa taʿālā),
- die Demut und Hingabe der Gläubigen,
- das vorbildliche Verhalten von Engeln und Propheten,
- und die Arroganz und Ablehnung der Wahrheit durch Ungläubige.
Die Wichtigkeit des Sudschūd at-Tilāwa ist auch durch eine Überlieferung des Propheten (ﷺ) belegt. In einem Hadith sagte er ﷺ:
Wenn der Sohn Adams einen Vers der Niederwerfung rezitiert und sich niederwirft, zieht sich der Satan weinend zurück und sagt: ‚Wehe mir! Der Sohn Adams wurde zur Niederwerfung aufgerufen und gehorchte – und ihm gehört das Paradies. Ich aber wurde dazu aufgerufen, verweigerte mich – und mir gehört die Hölle.‘
Muslim, „Îmân“, 133; Ibn Mâdscha, „Iqâmat as-Salât“, 70
Der Gesandte Allahs (ﷺ) hat sich bei der Rezitation solcher Verse stets niedergeworfen, und auch seine Gefährten (raḍiyallāhu ʿanhum) folgten ihm darin (Buchârî, „Sudsched al-Qur’ân“, 8, 9; Muslim, „Masâdschid“, 103, 104).
Wenn du also auf einen solchen Vers stößt und dich niederwirfst, zeigst du: Ich erkenne die Wahrheit dieser Worte. Ich unterwerfe mich dem Willen Allahs. Ich bin jemand, der sich in Ehrfurcht niederwirft.
Der Sudschūd at-Tilāwa ist somit ein Ausdruck tiefster Demut. Er zeigt, dass der Koran keine bloße Theorie ist, sondern eine lebendige Botschaft, auf die du als gläubiger Mensch reagierst – mit Körper, Herz und Geist.
Quellen, die in diesem Beitrag verwendet wurden: Die inhaltlichen Grundlagen dieses Beitrags stammen:
Legende zu den Ehrentitel
- (subḥānahu wa taʿālā): „Erhaben ist ER und erhaben ist SEINE Größe“ – Ausdruck der Ehrerbietung gegenüber Allah
- (ﷺ – ṣallā -llāhu ʿalayhi wa-sallam): „Allah segne ihn und schenke ihm Frieden“ – wird beim Namen des Propheten Muhammad gesagt
- (raḍiyallāhu ʿanhum): „Allah sei mit ihnen zufrieden“ – wird bei den Gefährten des Propheten verwendet
Sudschūd at-Tilāwa (Tilavet Secdesi): Wann du sie machst, wie du sie verrichtest und warum sie so wichtig ist