Ein Buch, das Klartext spricht: Islam, Politik und die deutsche Religionslandschaft
Eren Güvercin legt mit DITIB und der ferngesteuerte Islam in Deutschland eine kritische Analyse der islamischen Verbandsstrukturen in Deutschland vor. Der Autor zeigt, wie politische Einflüsse, verfehlte Religionspolitik und Machthunger die muslimische Community spalten und von einer zukunftsfähigen Entwicklung abhalten. Dabei bleibt das Buch nicht nur bei der Analyse stehen, sondern liefert auch konkrete Ansätze für eine Neuausrichtung der Religionspolitik.
Freundschaftliche Nähe, kritischer Blick
Vorweg: ich kenne Eren Güvercin seit Jahren und schätze den fachlichen und menschlichen Austausch – was die kritische Auseinandersetzung mit dem Buch jedoch nicht beeinflusst. Die inhaltliche Analyse zeigt klar, dass hier nichts aus Gefälligkeit oder Rücksicht geschieht, sondern eine fundierte Einschätzung erfolgt. Gerade deshalb verstehen wir uns – trotz der unterschiedlichen Ansichten auch so gut. Wir schätzen gegenseitig das offene Wort und offene Kritik.

Natürlich schreibe ich dennoch nicht im luftleeren Raum. Rezensionen zum Buch sind bereits in verschiedensten Medien erschienen, und unisono gibt es Einschätzungen, die mich irritiert zurücklassen. Eine davon lautet, Güvercin habe das Problem analysiert, aber keine Lösungsvorschläge geliefert. Wer das behauptet, hat entweder den Schlussteil des Buches nicht gelesen oder die dort aufgeführten Maßnahmen (die zugegeben sehr kurz und prägnant waren) nicht als solche erkannt. Das zeigt, wie subjektiv und von Wunschdenken geprägt Rezensionen oft sind.
Auch ich habe das Buch mit bestimmten Erwartungen gelesen. Ich dachte an meine eigene Vergangenheit, an Diskussionen mit Personen aus der Salafiyya oder der Hizb-ut-Tahrir und an die Beweggründe, warum ich nach 9/11 mit dem Bloggen angefangen habe. Beim Lesen ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich Güvercin Satz für Satz zustimmte. In der Analyse macht ihm kaum jemand etwas vor. Ob die daraus gezogenen Schlussfolgerungen immer zutreffen, bleibt diskutabel – aber die dargelegten Probleme sind präzise und fundiert belegt.
Islamverbände in Deutschland: Zwischen Einfluss und Orientierungslosigkeit
Güvercin beschreibt anschaulich, wie Verbände wie die DITIB, IGMG oder ATIB über Jahre hinweg eine religiöse Praxis in Deutschland mitgestaltet haben, dabei jedoch häufig – wissentlich und willentlich – als politische Instrumente aus dem Ausland genutzt wurden. Die enge Verknüpfung mit staatlichen Interessen – insbesondere mit der Türkei – hat zu einer religiösen Landschaft geführt, die sich von den tatsächlichen Bedürfnissen der Gläubigen zunehmend entfernt hat.
All diese Punkte zeichnet der Autor anhand der Verbände DITIB, IGMG, ATIB und (im extremistischen Bereich mit dem sog.) ZMD nach, die sich in ihren problematischen Elementen nichts voneinander nehmen lassen. Die Verbände sehen sich weiterhin untereinander als Konkurrenz an, auch wenn die Abhängigkeiten und Orientierungen vom türkischen Staat mittlerweile unübersehbar sind. Extremismus und problematische Strömungen in diesen Communitys werden mittlerweile weder intern noch von der Politik angesprochen, thematisiert oder sanktioniert.
Die Deutsche Islam Konferenz (DIK): Eine verpasste Chance
Ein wiederkehrendes Thema ist die Entwicklung der DIK, die ursprünglich als Plattform für den Dialog zwischen Muslimen und dem deutschen Staat gedacht war. Güvercin beschreibt, wie diese Initiative zunehmend an Relevanz verloren hat. Die politischen Akteure, so das Buch, haben es versäumt, auf die Veränderungen in der muslimischen Community angemessen zu reagieren und diese in die Pflicht zu nehmen. Kontroversen sind unerwünscht und ein innermuslimischer Dialog unter den aktuellen Rahmenbedingungen kaum noch möglich.
Während man im Bundestag darüber diskutiert, ob man mit Faschisten paktieren darf, zeigt der Text von Güvercin, dass die politische Zusammenarbeit mit einigen Akteuren hier gar nichts anderes mehr darstellt. Der Text ist in seiner Konsequenz nichts anderes als ein Zeugnis für die mangelhafte Religionspolitik aller Parteien und stellt ein „nicht Bestanden“ im Fach „Islamische Religionsgemeinschaft“ dar.
Religionspolitik in der Sackgasse
Das Buch verdeutlicht, wie islamische Organisationen und die deutsche Politik seit Jahrzehnten aneinander vorbeiarbeiten – entweder aus Gleichgültigkeit oder weil man eben andere politische Interessen verfolgt. Während muslimische Gemeinden mit praktischen Herausforderungen kämpfen, bleiben politische Maßnahmen auf symbolische Debatten beschränkt. Der Autor betont, dass die Beheimatung muslimischer Gemeinschaften im Hier und Jetzt scheitert, solange Verbände mehr mit Machtphantasien hantieren, sich in Abhängigkeiten begeben als mit der Verortung in der deutschen Gesellschaft oder der Gemeindearbeit vor Ort beschäftigt sind.
Verantwortungslos: Imamausbildung als Beispiel
Ein besonders anschauliches Beispiel für die Versäumnisse der Politik und der Verbände ist die Imamausbildung. Trotz zahlreicher politischer Initiativen stagniert die Ausbildung von Imamen, die in Deutschland aufgewachsen sind und die Lebenswirklichkeit hier verstehen. Die Verbände verweisen auf Notlösungen, die in keinerlei Hinsicht eine Beheimatung im Hier und Jetzt fördern. Die Politik sucht und findet die vermeintliche Lösung in einer Zusammenarbeit mit dem Ausland.
Güvercin zeigt, dass die Ursache sowohl am politischen Unwillen liegt als auch an der Blockadehaltung der Verbände. Diese sehen die Kontrolle über die Imamausbildung als Machtfrage und behindern so eine dringend benötigte Modernisierung und lassen sich weiterhin in die Abhängigkeit aus dem Ausland treiben. Dass dies folgenschwere Entwicklungen für die zukünftigen Generationen von Muslimen in Deutschland hat, wird gekonnt ausgeblendet.
Hoffnung trotz Pessimismus
Im letzten Teil des Buches liefert Güvercin Vorschläge für eine zukunftsfähige Religionspolitik. Dazu zählt die Förderung von Graswurzel-Initiativen und die stärkere Unterstützung von lokal verankerten Projekten. Auch die Diskussion über eine Beheimatung und was eigentlich „Islam in Deutschland“ oder ein „deutscher Islam“ sei, sind hier gut nachgezeichnet. Gleichzeitig warnt er vor einer weiteren Instrumentalisierung der Verbände durch ausländische Akteure.
Es wird deutlich, dass es ein weiter so in der Religionspolitik nicht geben kann. Die Zeitenwende, die Güvercin fordert, ist richtig und in der Sache längst überfällig. Es kann nicht sein, dass die Politik über bestehende Probleme bei Verbänden wegschaut. Der pessimistischen Grundhaltung des Autors kann man an dieser Stelle jedoch etwas widersprechen: Die wachsende Vielfalt muslimischer Initiativen zeigt, dass Veränderung bereits im Gange ist. Die Verbände müssen sich am Ende ändern, ob sie wollen oder nicht. Aber es wird viele verlorene Jahre geben, deren Preis künftige Generationen zahlen werden.
Fazit: Ein Buch, das Denkanstöße liefert
DITIB und der ferngesteuerte Islam in Deutschland ist eine kritische, analytische und pointierte Darstellung der aktuellen Herausforderungen im Umgang mit islamischen Verbänden. Güvercin scheut sich nicht, problematische Strukturen zu benennen und fordert Veränderungen. Die Mischung aus Analyse, Historischen Entwicklungen und kleineren theologischen Bezügen macht das Buch besonders lesenswert – auch für diejenigen, die sich bisher wenig mit der Thematik auseinandergesetzt haben.
Bewertung: ★★★★☆ (4 von 5 Sternen)
Buchdetails
- Titel: DITIB und der ferngesteuerte Islam in Deutschland
- Autor: Eren Güvercin
- Verlag: C.H. Beck
- ISBN: 978-3-406-82256-8
- Link: https://www.chbeck.de/guevercin-ditib-ferngesteuerte-islam-deutschland/product/36974652

Buchbesprechung – „DITIB und der ferngesteuerte Islam in Deutschland“ von Eren Güvercin